Dogmatisch-theologische Bemerkungen zur Feier der Eucharistie (15 Thesen)

 

1.  Die gegenwärtige Krise des christlichen Gottesdienstes, namentlich der Messfeier, hat ihre letzte Ursache in dem, was Johann Baptist Metz mit seiner durchaus missverständlichen und vielfach missverstandenen Rede von der „Gotteskrise“ meint: dass die Bedeutung wie der Realitätsgehalt dessen, was „alle Gott nennen“, zunehmend verloren gehen. Darin bestehe die „ökumenische Situation“ heute: Gott sei für viele bedeutungslos und realitätsfern geworden. Und in der Tat: Die Gegenwart Gottes in der Geschichte und im Leben der Menschen, sein Handeln und Wirken an und in der Welt werden kaum noch wahrgenommen und kommen insgesamt zu wenig zu Gesicht und zu Wort.

 

2.   Wem aber „Gott“ nichts sagt, dem ist auch die Rede vom „Wort Gottes“ nichts sagend. Mit anderen Worten: Wer von „Gotteskrise“ spricht, darf von der „Christuskrise“ nicht schweigen. Da die Wahrheit des Wortes Gottes aber nur im Heiligen Geist erkannt zu werden vermag, muss auch von der „Geistkrise“ (Glaubens- und Spiritualitätskrise) gesprochen werden. Die viel diskutierte „Gotteskrise“ ist somit auch „Trinitätskrise“ mit ruinösen Folgen: für das Schöpfungs- und Erlösungsverständnis, für Gebet, Liturgie und Eucharistie, für das Selbst-, Welt- und Wirklichkeitsverständnis des Menschen, für das Verhalten der Menschen untereinander (z.B. zunehmende Entsolidarisierung unserer Gesellschaft, vielfältige Formen der Verletzung der Menschenwürde) wie gegenüber der Schöpfung (vgl. z. B. gentechnologische Debatte).

 

3.   Das Vat. II. spricht im Blick auf die Messfeier („Sacrificium eucharisticum“) von „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“ (LG 11). Das christliche Leben aber ist Leben aus dem Glauben. Der Glaube ist Antwort auf das Wort Gottes, das in Jesus Mensch wurde (Quelle). An Jesus als den Sohn Gottes glauben bedeutet, sich aufgrund seines Wortes in der Liebe Gottes zu wissen: in der Liebe zwischen Vater und Sohn, die der Heilige Geist selbst ist (Höhepunkt).

 

4.   Die Eucharistie bringt - als Sakrament - zum Ausdruck, was in ihr geschieht und weist zugleich über sich hinaus: In ihr geschieht reale Christuspräsenz und Christusbegegnung im Glauben. Das, was geschieht, wird bezeichnet: dass der Glaube von Christus selbst lebt. Darin weist die Eucharistie zugleich über sich hinaus; denn der Glaube lebt nicht nur für die Dauer der Heiligen Messe oder im Moment des Kommunionempfangs, sondern von Anfang an und bleibend bis zur Vollendung von Christus. Wie der Mensch in leibhaftiger Existenz nicht ohne Essen und Trinken auskommt, so kann er im Glauben nicht ohne die Feier der Messe auskommen, nicht ohne das Geschenk der Gegenwart Christi unter den Zeichen von Brot und Wein, das untrennbar verbunden bleibt mit der sakramentalen Gegenwart seines ganzen Heilswerkes.

 

5.   Im Empfang des Leibes und Blutes Christi schenkt sich uns Christus und vereinigt sich innigst mit uns. Diese „Innigkeit“ des Empfangs unterstreicht, wie „innig“ der Mensch im Glauben stets – am Sonntag wie im Alltag - mit Christus verbunden ist. So weist die Eucharistie auch unter dieser Hinsicht noch einmal über sich hinaus.

 

6.   Die Eucharistie ist Zeichen und Wirkkraft der „Christus-Innigkeit“ und der Einheit untereinander. Dort, wo die „Christus-Innigkeit“ und die Einheit untereinander nicht bzw. noch nicht genügend vorhanden sind, darf die Eucharistie nicht gefeiert und als Gabe gereicht werden (1 Kor 11,20). Sie würde als sakramentales Zeichen konterkariert, und ihre Wirkkraft käme nicht zur Geltung.

 

7.   Die Frage, warum nur der in apostolischer Sukzession stehende sakramental Ordinierte der „Vorsteher der Eucharistie“ sein und die Konsekration vollziehen kann, gehört seit langem zu den klassischen Kontroversfragen. In dieser Frage können nur „Fortschritte“ (vertiefte Einsichten) erzielt werden, wenn deutlich wird, dass es sich hier nicht um eine persönliche Privilegierung eines bestimmten Standes, sondern um die Spieglung der Gegenwarts- und Wirkweise Christi in der einen Kirche handelt:

 

8.   Der Mahl-Charakter der Eucharistie darf nicht gegen ihren Opfer-Charakter ausgespielt, sondern beide müssen aufeinander bezogen werden. Insofern die Eucharistie als „Opfer“ bezeichnet wird, kommt zum Ausdruck, dass die Vergegenwärtigung des ganzen Lebens Jesu in der Eucharistie auch seine ein für allemal geschehene Todeshingabe umfasst, mithin Vergegenwärtigung des Opfers Jesu Christi ist.

 

9.   Das Geheimnis der Realpräsenz (der wirklich-wahren und wesenhaften Gegenwart Christi) wird katholischerseits mit Hilfe der Transsubstantiationslehre bekannt. Sie besagt,

 

10. Die im Umgang mit dem sakramental gegenwärtigen Christus vielfach zu beobachtende ungehörig-kumpelige „Nonchalance“ ist nicht Ausdruck wahren Kindseins vor Gott, sondern Zeichen gefährlicher Geistlosigkeit, womöglich einhergehend mit dem Versuch, das Heil zu ignorieren und das Geheimnis der Gegenwart Gottes in unserer Welt zu zersetzen. Solch eine Haltung, allgemein und dauerhaft verbreitet, wirkt sich in Kirche und Welt in einem kaum zu überschätzenden Maße verheerend aus. Dringend erforderlich ist eine umfassende Erneuerung eucharistischer Spiritualität.

 

11. Jede eucharistische Spiritualität, wie immer sie auch im Einzelnen gelebt wird, hat das zum Ausdruck zu bringen, was die Eucharistie selbst artikuliert: dass der Mensch im Glauben so auf die Christusbegegnung im Sakrament der Eucharistie angewiesen ist wie im irdischen Leben auf das tägliche Brot (vgl. These 4):

 

12. Die stets erneuerte und neu dankbar gefeierte Einheit mit Christus in der Messfeier ist unser „Opfer des Lobes“ (sacrificium laudis, Erstes Hochgebet; vgl. Hebr 13,15), ist unsere Danksagung (eucharistia).

 

13. Die stets erneute und neu dankbar gefeierte Einheit mit Christus führt zur stets erneuerten und dankbar gefeierten Einheit und Solidarität auch untereinander. Sie macht frei für das Engagement für den Nächsten: „Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot.“ (1 Kor 17). Beim Kommunionempfang erhalten wir, wie Augustinus sagt, unser eigenes Geheimnis. „Auf das, was ihr seid, antwortet ihr ‚Amen’, und ihr unterschreibt es mit dieser Antwort. Du hörst ‚Der Leib Christi’ und antwortest ‚Amen’. Sei ein Glied Christi am Leib Christi, damit das ‚Amen’ wahr sei.“ (Sermo CCLXXII, PL 38, 1247). Durch die Messfeier lassen auch wir uns wandeln: Weg vom ständigen nur Um-sich-selber-Kreisen und Sich-selbst-Bemitleiden hin zur alles Spießige zurücklassenden, das Leid des und der Anderen wahrnehmenden und bekämpfenden Achtsamkeit: Aus der memoria passionis erwächst die compassio und die Kraft zur Versöhnung.

 

14. Im Zuge dieser umfassenden Erneuerung eucharistischer Spiritualität hat auch die eucharistische Anbetung ihren unverzichtbaren Stellenwert. Die eucharistische Anbetung muss dabei aber deutlicher als bisher mit ihrem Ursprung und Ziel verbunden werden, mit der Feier der Eucharistie.  

 

15. Mitten in der Zeit gilt es immer wieder das Ende der Zeit zu bedenken und den Blick in die Ewigkeit zu werfen. In der Messfeier geschieht dieser Auf- und Ausblick auf den Ewigen, auf die Vollendung und die in Gott Verstorbenen und Vollendeten, die communio sanctorum. Dieser Auf- und Ausblick auf das Ende der Zeit und die Vollendung der Welt erneuert die christliche Hoffnung und befeuert die Bitte der Emmausjünger „Herr, bleibe bei uns“ ebenso wie die, mit der die Apokalypse schließt: „Komm, Herr Jesus!“ Diese Bitten drücken unsere Erwartung und Freude darüber aus, dass wir ihm begegnen dürfen, schon jetzt in der Eucharistie. Sie ist die Antizipation der ewigen Liebe, der Vor-Geschmack und die Vor-Schau „dessen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor 2,9).

 

Manfred Gerwing